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Mittwoch, 22. Juni 2011

absolut rechtlos...

ich bin ziemlich gestresst zur zeit, denn ich mache die dinge exzessiv. ich kann nicht anders. ich bin ungeduldig, ich möchte, dass es vorwärts geht und in kombination mit nicht allzugrossem selbstvertrauen bedeutet das halt 12-14 stunden bibliothek pro tag. es ist ganz ok. von 14 stunden bin ich denn auch sieben oder acht wirklich produktiv und konzentriert, das macht einen schönen arbeitstag. die bibliothek ist mein heimatplanet, ich bin ihr satellit. das heisst ja eigentlich leibwächter. niedlich. ich bewache die bibliothek tag und nacht, damit ihr nichts passiert und sie lässt mir meine umlaufbahn, die mich in die mensa und zum sport führt.
sportlich bin ich immer noch, mein bizeps soll ja nicht wieder weggehen. armer crosstrainer, was du jeweils für aggressionen abkriegst. einen neuen job habe ich auch, als sprachlehrerin. gute sache, ich freue mich.
freute mich. denn die steuerbehörde möchte 2567 franken und 10 rappen von mir. weil ich entsprechend viel gearbeitet habe letztes jahr. damit finanziere ich mein zimmer mit dem prokrustesbett, das essen in der mensa, die zwei tassen kaffee täglich - ich krösus, die studiengebühren und meine arbeitslosigkeit, die ja bald ein ende hat. denn das arbeitsamt brauchte 4 monate, um mir mitzuteilen, dass sie meine unterlagen so als ganzes paket verloren haben, also natürlich sagen sie, ich hätte nichts geschickt. die post hat es verloren. ist klar. und deswegen hätte ich keinen anspruch. das heisst, sobald ich mich beim arbeitsamt anmelde, bin ich erstmal drei monate gesperrt und muss zum sozialamt, aber trotzdem jeden job annehmen. das sozialamt hat mir aber klar gesagt, dass man als student mit der immatrikulation sämtliche ansprüche verwirkt. sie sagten sogar, wenn ich schwanger wäre, würden sie nicht einmal für mein kind bezahlen. damit war das beratungsgespräch beim sozialamt auch vorbei, denn das wartezimmer war voll mit ausländischen bewerbern. immigration ins transfersystem nennt herr sarrazin das. ich böse, böse querulantin, die sich anmasst, sparsam zu leben, um studieren zu können. vor mir war übrigens eine dunkelhäutige frau am schalter. sie hatte mehrere kinder dabei und klärte gerade ab, wohin ihr anspruch überwiesen werden soll. der raum hatte ein anschlagbrett. da können immigranten von vergünstigten deutschkursen profitieren. und wenn sie schwierigkeiten mit den behörden haben, wird ihnen für ein paar stunden die woche jemand zur verfügung gestellt, der ihnen hilft. sowas hätte ich auch gern. zeit, geld, kinder, gesprächspartner, die mir im behördenalltag helfen und vor allem materielle sicherheit.
also werde ich jetzt 12-14 stunden pro tag in der bibliothek bleiben und zusätzlich noch halbtags arbeiten, im september sind sogar 150 stellenprozente geplant. dann kann ich die steuerrechnung bezahlen. also studienabschluss um ein halbes jahr verschieben, denn ich bin so anspruchsvoll, ich möchte auch mal schlafen. denn die steuerbehörde sagt mir, ausbildung ist kein härtefall. ich mache den herrn am telefon auf meine situation aufmerksam. es folgt ein vortrag über das gut funktionierende sozialsystem der schweiz, das niemanden durch seine maschen fallen lässt. was ich ihm erzähle, glaubt er nicht und höchstwahrscheinlich habe ich was falsch verstanden. ist klar. ich überlege mir, was wohl passiert, wenn ich gar keine rechnung mehr bezahle. vielleicht komme ich dann ins gefängnis - endlich. saubere wohnverhältnisse, fernsehen, internet, massenhaft zeit... I'm loving it. erstmal lasse ich mich gleich vier stunden im bücherladen zutexten. über plastik. bin selbst gespannt, ob ich der trulla den kopf abreisse oder nicht. das wäre wiederum ein weg ins gefängnis...

Mittwoch, 15. Juni 2011

absolut wertlos...

mein neuer job führt mich in einen laden für schulbücher. es ist herrlich da, ich könnte mich lange verweilen und ein buch nach dem nächsten durchblättern. und die materialien für kinder sind süss - häkel-dvds, lese-malbücher, spiele zum rechnen lernen. in diesem bunten kinder- und erwachsenenparadies bereue ich es fast, dass ich nicht primarlehrerin geworden bin.

und nicht nur deswegen. nichts läuft bei mir gleichmässig, man sagt auch, ich würde immer ein haar in der suppe finden. dabei habe ich doch gar keine solche einstellung. ich freue mich jedesmal, wenn ich eine neue stelle bekomme und sogar in einem bücherladen!
eines fehlt in diesem bücherladen - die kundschaft. die kommt an heissen juni-tagen ende schuljahr nicht dahin. also bin ich alleine mit einer festangestellten verkäuferin. ich, die neue, sie die, die alles schon kennt. niemand weit und breit da, keine arbeit, beiden ist heiss und langweilig. ich vertiefe mich in bücher, was durchaus gewünscht ist. aber sie ist vollblutverkäuferin anfang zwanzig und ihr ist langweilig. ahnen sie das problem? sie redet. und redet. zeigt auf ein plastik und sagt, das ist plastik, das muss man bei den büchern wegmachen. und dann kommt die liste der sonderfälle, in denen man das plastik nicht wegmachen muss.
meine freunde haben keine geduld mehr mit mir, weil es mir nirgends gefällt. sie sagen "auf die zähne beissen, ja und amen sagen". das mache ich also brav. eine variation von "ja, aha, ok, ah interessant, mhm". sie führt mich durch den laden. und wieder zurück. und wieder. und wieder. wir "schauen kurz". die schweizer "schauen" immer "kurz". ob es irgendwo ein buch zurechtzurücken gibt. sie ruft mich. schau mal kurz, hier hat einer ein buch verrückt. und ein plastik angerissen. die kundschaft halt. plastik machen wir immer von den büchern weg, ausser wenn... und wenn... hast du das verstanden?
sie ist eine ganz gewiefte, sie baut fallen. sie versteckt eine cd und fragt mich dreimal ob ich sicher bin, dass ich alles zurechtgerückt habe. dann ihr triumpf, die cd, deren existenz mir bislang unbekannt war. aber achtung, es gibt auch so neue cds, die sind nur für den computer. jetzt gehen wir zusammen kurz nach dem karton schauen. ich wusste gar nicht, dass er was braucht. ja, aha ok, mhm. ihre antwort: wenn du weiterhin so wenig interesse zeigst, werden wir wohl kaum miteinander auskommen, aber das ist auch egal. wir gehen jetzt kurz durch das ganze sortiment schauen, ob irgendwo eine lücke ist.
zwei von fünf stunden sind um. ich frage sie, ob ich gehen darf. sie sagt ja. süsse flucht. es war mir 75 franken wert, ihr nicht mehr zuhören zu müssen.
ich glaube ich werde einmal arrogant verhungern. oder kann man selbstwertgefühl essen?

Sonntag, 12. Juni 2011

delirant isti germani!!

Mit 1000 Euro Kautionsgeld in der Tasche fahre ich also nach Bochum. Ich möchte da so gern eine Wohnung haben! Ein Ort, der auf mich wartet, wo ich zu jeder Tages- und Nachtzeit hinkommen kann, ohne auf die Eincheck-Zeiten eines Hotels Rücksicht nehmen zu müssen. Im City-Nightline war an schlafen nicht zu denken. Ich fühle mich wie ein Bier - schön kühl, aber wenn man es schüttelt schäumt es vor Wut. Komplett bekleidet, mit Jacke und zwei City-Nightline-Gammeldecken schlottere ich mich durch die Nacht. In Mannheim gehe ich mich draussen aufwärmen und laufe an den Störungslämpchen vorbei: Heizungsstörung und Abluftstörung. Es funktioniert nur "Luftzufuhr", praktisch bedeutet das, man sitzt die ganze Nacht im Schlafsessel wie unter einem Kaltluftföhn. Der lapidare Kommentar des Zugpersonals: "Na immerhin funktioniert die Klimaanlage".
Unterkühlt und müde komme ich in Bochum an, aber mir geht's sonst gut. Es ist friedlich, durch die schlafende Stadt zu laufen. Schlafende Stadt? Warum eigentlich, es ist 7.30 Uhr an einem Werktag! Und ich muss noch 6,5 Stunden schlendern, wegen der Eincheck-Zeiten im Hotel.
Bis 10 Uhr schlendere ich durch die Stadt. Es ist wirklich seltsam friedlich wenn einen niemand kennt und niemand stört. Um 10 Uhr öffnet die erste Wohnungsagentur. Ich bin so nervös, stelle mir vor, wie ich aus lauter schönen Wohnungen wählen kann...
Pustekuchen, Bilder gibt es keine. Die Wohnungen werden nur von aussen gezeigt. Ich wundere mich schon darüber und frage danach, wie es denn innen aussieht. Ja, das kann sie mir nicht sagen, das kommt halt drauf an, was ich für einen Fussboden legen lasse. Ich schaue die fröhliche Quietschedame schief an und sage: "Wie, ich bringe da meinen eigenen Fussboden mit?". Sie lächelt und meint, wenn ich es so formuliere, klingt es schon lustig. Aha, trotzdem. In Deutschland bringt man seinen eigenen Fussboden in eine Wohnung mit! Und die Tapete. Wie, Tapete? Was ist denn jetzt an den Wänden? Das weiss sie natürlich auch nicht, einfach etwas, wo ich Tapete drüber machen kann. Tapete, Schnapete, ist die Wohnung ein Geschenk, das ich erst verpacken muss? Also konkret, ich kaufe erstmal mehrere Rollen Papier und klebe es an die Wände. Ich wollte eigentlich ne Mietwohnung, keine Baustelle übernehmen... Na ok. Weiter. Balkon, Keller, Bad, Küche. Küche? KÜCHE? Fehlanzeige. In Deutschland nimmt man bei Umzug seine eigene Spüle mit. Weil, was ist, wenn einem die bestehende Spüle nicht gefällt? Eine deutsche Mietwohnung versteht unter "Wohnküche" eine kahle Wand (natürlich ohne Tapete) mit einer Hand voll Löchern drin. Das sind die Anschlüsse für die Küche, die ich unterm Arm mitbringe. Schliesslich will man ja seine gewohnte Küche nicht aufgeben. Was allerdings passiert, wenn die gewohnte Küche gar nicht reinpasst, das wird unter den Teppich gekehrt, äh, gibt's ja nicht, also wird nicht besprochen. Ausserdem...Küche, Tapete und Fussboden muss man mitbringen, aber das Klo kann man ruhig von den Vormietern übernehmen. Wo ist denn da die hygienische Logik dabei?
Mir ist jedenfalls klar: Die Deutschen nehmen das wörtlich mit dem "Dach über dem Kopf". Oder was kommt als nächstes: eine freiwillige Dachpauschale? Nachdem mir auch die zweite Agentur eine steinzeitliche Höhle andrehen will, kann ich nicht mehr. Ich klappe auf der Strasse vor Lachen fast zusammen. Denn warum sind da zwei rote Männchen auf der Fussgängerampel? Kriegt da jeder Fussgänger seine eigene Ampel? Die spinnen, die Deutschen!