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Freitag, 23. November 2012

Schule in NRW 1 - Eltern und Schule 2

Ich finde also eine weitere Elternmitteilung in meinem Fach. Ein Brief. Hiermit würde die Überprüfung der Note beantragt. Lustig. Ich mache ja die Note. Denken die wirklich, ich würde mir das nochmal anschauen und dann sagen "Tut mir leid, ich habe alles falsch gemacht, ihr Sohn hat eine 2, keine 6"? Denken die, ich würde das überhaupt nochmal überprüfen? Hey, Privatleben, wart mal noch ne Runde, ich muss meine Arbeit ein zweites Mal machen, weil es von jemandem gewünscht wurde, der fachlich überhaupt keine Ahnung hat. Der nächste Satz ist auch charmant. Es sei aufgefallen, dass ich gewisse Schüler bevorzugt und den Sohn bewusst schlecht benotet hätte. Spätestens hier erlöscht bei mir jede Auskunftsfreudigkeit. Ich solle bitte unverzüglich anrufen.

Ein Kollege erzählt mir, der Schüler sei schon zu ihm gekommen, habe die Prüfung gezeigt, ob das korrekt bewertet worden sei. Mein Kollege sagt, ja, ist korrekt bewertet worden. Schüler geht zu Mutter: Scheiss Bewertung. Mutter schreibt mir: Scheiss Bewertung.
Ein zweiter Kollege kommt zu Hilfe: Schülerakte. Interessant, die Mutter versucht das wohl jedes Jahr bei verschiedenen Lehrern, mit Vorliebe bei neuen Lehrern. Das passive Verhalten des Sohnes ist über fünf Jahre hinweg dokumentiert. Er hat immer eine Fünf. Lustig, dass sie jetzt bei mir so einen Stress wegen einer Fünf machen.

Da noch mehrere charmante Sätze in ihrem Brief folgen, erfolgt eine Rückmeldung von mir per Mail, da bei Anruf nur Vater und der keine Ahnung von nichts, das sei der Kampf seiner Frau. Ich schreibe also mit dem Tenor: Ich bin mir sicher, die Note ist korrekt, Schüler werden nach Punkten bewertet, also kann er selbst zusammenrechnen, was seine Note ist. Wäre es nicht vielleicht mal eine gute Idee, dass der Schüler mit mir spricht statt der Eltern? Leider beteiligt sich der Sohn nicht am Unterricht, darum ist das wohl nicht überraschend. Und ohne jeder Übertreibung: Ich weiss nicht, wie die Stimme des Sohnes klingt. Ich kenne nur sein verlegenes Schulterzucken.

Mutter macht richtig Stress. Arme Sekretärin. Schulleitung: Ich soll da anrufen. Schulleitung: Sie kennt den Schüler und die Mutter seit der Einschulung am Gymnasium. Ich: Warum unterbinden Sie das denn nicht mal? Schulleitung: Sie würden regen Kontakt zur Mutter pflegen. Ich: Mit welchem Ziel? Warum wurde ich weder vorgewarnt noch davon verschont? Meine bei 200 Schülern pro Schüler knapp begrenzte Zeit möchte ich lieber in die Lernwilligen als in Vollpfosten investieren. Schulleiter, lächelnd wie eine verliebte Frau, meint, ich solle anrufen. Ich weigere mich. Er lächelt wie eine versteinerte Frau. Egal.

Schüler mit Versagenshintergrund bleibt nach der Stunde im Schulzimmer zurück und fragt nach mündlicher Note. Fünf, da Stimme nie gehört. Keine Sechs, da ich neu bin als Geschenk. Er meint aber, er würde sich mehrmals pro Stunde in jeder Stunde beteiligen. Ich schaue, ob der das wirklich ernst meint. Tut er. Ich meine, ich würde davon leider nichts mitbekommen. Er: "Das regeln wir später. Wir werden noch sehen, wie das hier ausgeht." Und da bekomme ich richtig Angst. Der Schüler erzählt, dieses Gespräch hätte vor Schulkameraden stattgefunden. Ok. Ich denke: NOCH ist er nicht auf die Idee gekommen, nach der Stunde zu bleiben, während ich Dinge zusammenräume, aber Vorwürfe ANDERER Art zu erfinden. Dem ist doch jedes Mittel recht und so windfähnchenhaft wie die Schulleitung reagiert? In Zukunft muss ich meinen Kram früher zusammenpacken.

Der Schulleiter bestellt den Schüler zu sich, um ihn anzuhören. Der Schüler fühlt sich durch mich vorverurteilt. Der Schulleiter lässt ihn zusammen mit der Klasse eine Liste mit Vorwürfen erstellen. Resultat: Ich gehe in die Klasse und alle sind unzufrieden. Der Schüler hat eine Freundin und gemeinsam hetzen sie weitere fünf Teilnehmer auf. Nun sind auch die mit Zeugnisnote zwei unzufrieden, dass es keine eins ist, obwohl sonst immer eine drei war. Ich werde zur Schulleitung bestellt, wir gehen die Vorwürfe der Klasse Punkt für Punkt durch. Sogar der Schulleiter sieht, dass die Vorwürfe gar nicht stimmen können, da in sich nicht logisch. Das Resultat des allgemeinen Austauschs von Wahrnehmungen, das man ruhig auch als Vorführen oder Hetze bezeichnen könnte, ist eine unzufriedene Klasse, viel vergeudete Zeit, eine demotivierte Lehrerin und noch etwas. Er erwähnt im gleichen Atemzug die Müllers. Ich soll da anrufen und mich entschuldigen. Ich: Wofür? Habe ich ein Wort gesagt, das nicht korrekt ist? Er: Das sei egal, die Müllers hätten sich geärgert, egal wo der Fehler läge. Er fragt mich, wie es nun weitergeht. Ich kündige. Er fasst es nicht. Ruft täglich an, um sich irgendwas bestätigen zu lassen. Er gönnt mir auch jetzt meinen schulfreien Raum noch nicht. Egal. Was ein catilinarischer Führungsstil!

Schule in NRW 1 - Eltern und Schule 1

Integration ist ein wichtiges Stichwort in allen Lebenslagen in Deutschland. Spontan fällt mir zum selben Sachfeld als nächstes Diskriminierung und Hartz IV ein. Diese drei Begriffe werden oft zusammen genannt. Integration heisst, jemandem seine Lücken nachzusehen. Im Schulbetrieb heisst das, Totalausfälle zu verzeihen. Wir integrieren auch Schüler ohne Leistung ins Schulsystem, sonst ist das Diskriminieren.

So kommt es, dass Schüler mit Fünfen und Sechsen in den meisten Fächern weiterkommen. Personen mit Migrationshintergrund darf man nicht mehr "Ausländer" nennen, weil man sofort an "Ausländerfeindlichkeit" erinnert wird, während "Migrationshintergrundsfeindlichkeit" als linguistisches Gebilde einfach in keiner Debatte Platz findet. Bei Personen mit Migrationshintergrund bedeutet es Integration und Toleranz, wenn man ihnen nachsieht, wenn ihre deutschen Sprachkenntnisse einen Lückenhintergrund haben. So kommt es, dass nicht viel dabei rauskommt, wenn Ali und Baran dem Cemal Agusativ erklären. Wehe dem, der dies wertet. Noten sind einfach so wenig integrativ dehnbar und stellen ein Werturteil dar, das eigentlich gar nicht mehr zeitgemäss ist. Wie kann man denn heute noch behaupten, dass ein Kind besser ist als das andere? Auch wenn es sich um ein Schulfach handelt, wer kann es wagen, Kinder zu bewerten? Ich hoffe, die Ironie-Schriftart kommt wirklich bald auf den Markt.

Aber es ist auch schick und cool und in, einander zuzuhören. Als reiner Akt der Toleranz ist dabei egal, was gesagt wird, aber man muss sich alles anhören. So kommt es, dass ich einen Zettel im Fach habe: "Bitte rufen Sie Frau Müller an, sie möchte sich beschweren." Na das weckt ja Lust. Weiter unten die Nachricht: "Herr Müller hat angerufen, wenn er nicht in einem Meeting wäre, wäre er längst hier, um sich zu beschweren. Er sei so aufgebracht, man solle bitte ihn, nicht Frau Müller, anrufen." Ich mache gar nichts. Ich muss mir nicht alles anhören. Die sollen sich bitte beruhigen, warten bis der kleine Pascha zu Hause ist und dann nochmal echt zuhören und herausfinden, ob die eher beliebte Lehrerin ihn wirklich mit körperlicher Gewalt bedroht hat, oder ob er nicht vielleicht doch etwas komplett falsch verstanden hat.

Die Eltern drängen auf ein Gespräch. Wiederholte Mahnungen in meinem Fach, ich möge endlich zurückrufen. Die Schulleitung hat längst und umgehend zurückgerufen und versucht zu schlichten. Trotzdem. Die Eltern wollen mich am Hörer haben. Ist schon mal aufgefallen, dass in den ganzen RTL-Nachmittagssendungen immer ein Weibsbild da ist, das schimpft? Ihre Schimpftiraden sind semantisch komplett sinnfrei: "Wenn...dann kannst du was erleben" oder "Ja sag mal du hassdse wohl nicht mehr alle, was ist das denn jetzt hier?" Weder die Frage- noch die Aussage- oder Ausrufesätze sind als solche zu verstehen. Eher liegt die Bedeutung komplett im Sprechakt an sich. Also hiesse "Ja sag mal du hassdse wohl nicht mehr alle, was ist das denn jetzt hier?" übersetzt: "Du hast dich nicht mit mir abgesprochen und mich überrascht. Ich fühle mich ausgeschlossen und finde darum deine Aktion per se schlecht, aber ich kann leider gerade keine Argumente gegen das finden, was du auf die Beine gestellt hast. Also spreche ich noch eine Weile so laut und nervig, dass der Tonfall dir klarmacht, wie ich mich fühle."

Zurück zur Schule. Die Eltern wollen mich also sprechen. Ich zweifle stark daran, dass sie sachliche Fragen haben. Aber sie lassen ausrichten, dass ihnen nebenbei aufgefallen sei, dass das kleine, sensible Wunderkind solche Schwierigkeiten in der Schule hätte. Vor allem bei mir im Grammatikunterricht. Nachhilfe hätte er längst, er würde es trotzdem nicht verstehen. Das liege vielleicht an mir. Die Schulleitung richtet mir das tatsächlich so aus. Was als Antwort gesagt werden könne? Schüler soll aufgeben. Ist halt auch ein eher dummes Kind. Wenn es ihm zwei Leute erklären und er kann es immer noch nicht, in mehreren Fächern, läuft was schief. Schulleitung baff. Sie müsse darauf jetzt nicht antworten, oder? Das passt nicht in die Harmonisierungskultur. Der Schulleiter spricht wie eine verliebte Frau. Man müsse Wahrnehmungen austauschen, und zwar immer und so oft sich ein Elternteil melden würde. Ok, das kann ja heiter werden, bei 200 Schülern. NRW macht so grosse Klassen und ich darf es ausbaden. Wir haben kaum Geld für Bücher, kaum Leistungsniveau, erst recht kein survival-of-the-cleverest, sondern ein Mitschleifen Aller, aber lauter Wunderkinder und Hochbegabte. Und das bedeutet nichts anderes, als dass Eltern mit mir darüber sprechen müssen, über all die sensiblen Hochbegabten mit ihren Bedürfnissen, und dass sie unmöglich bis zur nächsten Sprechstunde warten können. Ich blocke alles ab. Wie kann man nur Lehrer in NRW werden (wollen)?

Dienstag, 23. Oktober 2012

Armes, reiches Deutschland, 3

Im Ruhrgebiet kommt man leicht ins Gespräch. Auf der Strasse, beim Einkauf, im Zug. Es ist mir nicht unangenehm. Und die anderen sind nicht genervt, wenn ich frage, weil ich die Lautsprecherdurchsage nicht verstanden habe oder den Weg nicht kenne. Man spricht miteinander. Die Mitarbeiterin, die die Fahrscheine kontrolliert, sagt mir einfach so, wie ich günstiger zu meinem Regionalabo komme. Der Kaffeeverkäuferin ist aufgefallen, dass ich jetzt da bin und einmal die Woche bei ihr einen Becher Kaffee kaufe. Sie fragt mich, ob ich mich in Deutschland gut eingelebt hätte. Na ja, geht, im Dezember gehe ich wieder. Ja, Schweiz sei halt besser, sagt sie.

Auf dem Bahnsteig trinke ich meinen Kaffee. Drei Plätze weiter einer, der aussieht wie ein Obdachloser. Schlechte Zähne, ungepflegtes Äusseres. Endlich Feierabend, sagt er und lacht. Andere gehen jetzt zur Arbeit (danke fürs Erinnern), er geht jetzt nach Hause. Nachtschicht. Wie er das hasst. Ich bin neugierig, was arbeitet der wohl? Er sei Koch. Zu seiner Verteidigung nehme ich jetzt einfach an, dass er gerade zwölf Stunden hinter der Fritteuse stand und darum so aussieht. Aber sei ein guter Job. 1300 Netto. Aber immer diese Wechselschichten. In der Woche wechselnde Wechselschichten. Fiese Alliteration, er muss nämlich sechs Stunden nach der Nachtschicht zur Mittagsschicht antreten. Sieben Tage die Woche kommt öfter vor. Sei Zeit, dass er mal in den Urlaub fährt.

Er ist ein Krösus, er kann in den Urlaub fahren. Kein Privatleben, keine geregelte Arbeitszeit, keine Sicherheit, aber er hat Ground Zero plus 300. Damit gehört er zur Mittelschicht. Hier werden keine Mindestlöhne gezahlt, Ruhezeiten geregelt oder richtige Verträge mit Kündigungsschutz geschlossen. Gehsse malochen, hasse Geld, wirse krank, hasse Pech.

Sonntag, 14. Oktober 2012

Armes, reiches Deutschland, 2

Nun bin ich sechs Wochen in Deutschland und halte die Schweiz für ein Paradies. Rational muss ich zwar sagen, die Schweiz fand mich stets förderungsunwürdig, Stipendium, Bafög, Studienkredit, Darlehen, nicht für meinesgleichen. Gute Noten sind egal, ich passe in keine Kategorie. Und fällt man in einem reichen Land durch alle Maschen ist eine Verbitterung wohl nicht weiter verwunderlich.
Und trotzdem. Wie naiv ich war. Die Schweiz, so gut werde ich es nirgendwo sonst haben.

Als Fachkraft wurde ich geholt und das Angebot war so verlockend, dass ich Mut beweisen wollte. Über den Tellerrand hinausschauen. Kein Feigling sein und ewig über die Ungerechtigkeit jammern, dass ausgerechnet ich einen steinigen Weg in der Schweiz gehen muss, Existenzängste und alles. Das Angebot ermöglichte es mir, unabhängig zu sein und meine Ausbildung berufsbegleitend zu absolvieren. Ich wäre dumm gewesen, es nicht anzunehmen, oder?

Ich trete also vor eine Auswahlkommission von fünf Leuten in diversen schulinternen und -externen Funktionen. Bewerbungsgespräch läuft harzig, ich bin von den Fragen überrumpelt. Welchen Auswirkungen sehen Sie durch die parallele Führung der Profile Englisch und Latein ab der fünften Klasse. Ich würde gerne antworten: "Woher soll ich das wissen?" Ich antworte, wie man es wohl erwartet, Sprachstruktur, gute Vorbereitung, Selektionierung, Förderung der guten Schüler. Allgemeines Nicken. Später sagt man mir, dass man "Selektion" und "Selektionierung" seit dem zweiten Weltkrieg besser nicht mehr benutzt. Ich muss warten, während eine andere Kandidatin interviewt wird. Warten ist ein gutes Zeichen. Die Stundenpläne sind längst auf meinen Namen gemacht. Willkommen an Bord, Sie haben sich gegen alle Kandidaten durchgesetzt. Jubel und Freude meinerseits.

Ich wandere aus. Migrationsamt will klare Entscheidungen, in meinem Fall keine Frist gewähren. Aha, wieder mal ich. Gut, migriere ich halt nach Deutschland. Ein Anruf: Wir möchten Ihnen nun die Berufserfahrung ermöglichen. Ja klar, was sonst, das ist ja Sinn eines Arbeitsvertrages. Ach, den ersten Satz hatte ich nicht verstanden. Düsseldorf weigert sich, den Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Sie müssen mir leider mitteilen, dass ich fachlich komplett unqualifiziert sei, nach zwölf Jahren Studium und sechs Jahren Berufserfahrung. Die Sachbearbeiterin kennt sich leider mit meinem Abschluss nicht aus und will ihn nicht akzeptieren. Bilaterales Abkommen? Ja, das müsste ich gerichtlich einfordern. Ich bin nun temporär angestellt, aber das ist ja nur temporär, das wird schon.

Ich realisiere, keine Weiterbildung für mich. Ich bin von einer Sachbearbeiterin abhängig, die keine Ahnung hat. Ich begreife, was alle hier wissen: Die Kommission, die mich interviewt hat, ist ein Zirkus ohne Entscheidungsgewalt. Aso, das ist mir neu. Da ich nun temporär angestellt bin, habe ich keinen Anspruch auf Bezahlung in den Ferien. Und natürlich auch nur einen geringen Lohn. Aber man versucht mir entgegenzukommen und als Gefallen dafür zu sorgen, dass auch die Ferien entlöhnt werden, damit ich meine Existenz decken kann. Aso. Ist das nett?

Sechs Wochen später. Noch kein Gehalt. Ich rufe immer wieder mal an. 20 Minuten Warteschleife. Da ich ein Formular namens "Arbeitgeberbezogene Ersatzbescheinigung" nicht eingereicht habe, von dessen Existenz ich nichts wusste, wird ca. die Hälfte meines Lohns nicht ausgezahlt. Steuerklasse 6 statt 1. Kein Anspruch auf Rückvergütung. Das war jetzt einfach Pech. Sechs Wochen für 900 Euro gearbeitet, das Geld wird irgendwann im November ausbezahlt. Wovon ich hier lebe? Ist denen doch egal, ich soll jetzt kein Theater machen und warten wie jeder andere. Gottchen, was regen Sie sich denn auf? Im Oktober kommt eine Abschlachzahlung von 150 Euro, damit kommt man doch eine Weile hin. Hätten Sie mal das Formular beizeiten eingereicht. Ob ich Deutschland eigentlich hasse, dass ich eine solchen Aufstand mache. Aso.

Ich habe 180 Prüfungen zu korrigieren. Nach den Regeln des Landes NRW, die niemand so richtig kennt. Es kann jeder im Nachhinein kommen und einen Fehler finden. Kein Schutz für mich. Gegen Abschreiber wird nichts unternommen. Die Schule wird nie geputzt. In den Sommerferien wurde Asbest gefunden. Ich unterrichte in einem schmutzigen, winzigen Zimmer mit 30 Schülern oder mehr, die kein Geld für ein Lehrbuch haben. Ich kann nicht mehr. Seit der ersten Woche die ganze psychosomatische Palette. Ich lebe von vagen Versprechungen und tiefenpsychologischem Honig.
Wie naiv ich war, einfach anzunehmen, dass ein Einstellungsgespräch zur Einstellung führt und dass Arbeit zur Auszahlung von Gehalt führt.
Mir ist völlig klar, was die Schweizer besser machen. Und so simpel ist es: Sie behandeln die Leute korrekt.

An Weihnachten gehe ich zurück. Und nie, nie mehr weg.


Freitag, 12. Oktober 2012

Armes reiches Deutschland, 1

Ist man in Bochum unterwegs weiss man nie, was einen um die nächste Ecke erwartet. Sei es der bunte und laute Einzug der Köche und Kellner bei der Culinaria, verkleidete Menschen, die für das Telefonbuch werben oder Bands und Chöre am Bochumer Musiksommer. Am Dr. Ruer Platz ist es selten langweilig. Egal, was passiert, man ist dabei, wird sofort mitgerissen, ins Geschehen gezogen und kann kaum anders als stehenzubleiben und zu applaudieren. Bochum, eine positive Stadt mit einem ansteckenden Wir-Gefühl. Ich grinse oft total bescheuert. Bochum ist schön. Hier könnte meines Bleibens sein.

Auf der Strasse wird man angesprochen. Das ist Teil des Wir-Gefühls. Und natürlich mache ich kurz ein Foto oder sage, wo es zum Bahnhof geht und tut mir leid, ich weiss nicht, wo die Massenbergstrasse ist, bin selber neu hier. Würde ja gegen das überteuerte neue Schauspielhaus stimmen, bin leider nicht von hier, aber verstehe ihr Anliegen total.

Bodo, das Strassemagaziiiin? Ja ok, einsachzig schaffe ich. Sie sind nur heute da? Ach, falsch verstanden, sie sind heute zum ersten Mal da? Sind Sie der Chefredakteur? Nein? Ach, ich dachte das aufgrund ihrer Kleidung. Jeden morgen bei der Caritas duschen und rasieren, achso. Umsonst, aber schlafen kann man da nicht, da hängen die Alkies, machen Lärm und klauen. Die Trompete, das einzige Besitzstück, kann man da aber einschliessen. Sind Sie obdachlos? Ja, seit ein paar Wochen. Ist ja zum Glück noch nicht so kalt. Nicht? Ich finde es schon ziemlich kalt im Oktober. Sie schlafen draussen??? Abends mit dem letzten Zug ein Stück hinaus, damit man nicht gestört wird und dann ins Gras legen? Wegen der ganzen Alkies. Schock meinerseits. Adretter Herr im karierten Hemd, ich dachte, er wollte mich vielleicht zum Kaffee einladen oder nach dem Weg fragen. Der nächste Kunde, eine Kundin, die von bodo schwärmt. Die Artikel wären so toll geschrieben. Weg ist sie. Sie schlafen wirklich draussen? Ja, das geht noch gut so. Wohnungsbesichtigungen laufen, aber Amt will nicht zahlen. Kann ich ihnen irgendwie helfen? Haben Sie eine Decke? Nein, er kommt klar. Ich wirke wohl ommahaft und er ist keine echte Bestürzung mehr gewohnt. Ich kann mich daran nicht gewöhnen. Verdattert und irritiert verabschiede ich mich und wünsche alles Gute. Ohje, klang das ironisch? War nicht so gemeint.

Und wie lange zieht der das noch durch, nicht zum Alkohol zu greifen und jeden morgen als Vorzeigewohnungssuchender auf seine Körperhygiene zu achten, wenn er nichts, absolut gar nichts davon hat?

Montag, 2. Januar 2012

Ode an den Kaffee

O Seelentröster, Weggefährte!
Du mokkafarben flüssig Glück!
Ich wünscht ich könnte dich liebkosen
mit sanften Lippen einen Schluck.

Doch fruchtlos hinter Gitter weilend
verwehrt der Jungfer trocken Staub
mit süsser Milch denn zu vereinen
in goldnen Tränen ihren Leib.