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Samstag, 27. November 2010

Krieg der WGs

Krisen kehren das Beste und das Schlechteste im Menschen heraus. Und es ist schade, dass ein eigentlich wirklich netter Mitbewohner zum wirklich hinterlistigen Mitläufer wird. Meine WG wird jetzt heimgesucht von angetrunkenen Aggressoren. Sie kommen abends, saufen sich an unserem Kühlschrank Mut an und grölen. Mitternächtliches Möbelrücken und Geschirrklappern. Mehr Grölen. Und man kann ja nichts dagegen machen. Also wäre es doch gut, jemand würde ausziehen, der Klügere gibt nach, oder?
Nein. Da bin ich anderer Ansicht und ich darf es sein, schliesslich bade ich ja auch die Konsequenzen aus. Es geht nicht an, dass ein Ort, zum Studieren gedacht, zum Schauplatz jugendlichen Bandendenkens wird. In meiner Vorstellung gibt es nach den Prüfungen laute Parties und dann war's das aber wieder für eine Weile. Gäste - jederzeit willkommen. Aber würden Sie in jemandes Wohnung lungern, einen auf Machtdemo machen und die Gastgeberin belästigen?
Die Frage "Sind es die Anderen oder bin ich es?" hätte mich früher geplagt. Aber inzwischen brauche ich keinen fremden Massstab mehr, um die Lage einzuschätzen.
Bitter ist der Verlust eines Freundes oder kleinen Bruders, aber dem hänge ich jetzt nicht nach. Es gilt, die kleinen Angriffe zu überstehen. Ob ich das Netzwerk gehackt habe? Öhm... danke erstmals, dass du mir solche Fähigkeiten zutraust. Ob ich aus purer Boshaftigkeit eine eigene Obstschale aufgestellt habe? Längst ist die Antwort irrelevant geworden. Schon wütet ein Geschirrsturm über die WG, die Gezeiten bäumen sich auf und schieben eine Woge von Möbeln über den Boden, Stille und Gelächter, Ebbe und Flut, drei Stunden lang. Das Auge des Tornados scheint vorbeigezogen. Es schläft. Nach durchzechter Nacht. Kein Zweifel, es wird sich von neuem sammeln. Solange stelle ich mich mal unter meinen Regenschirm. Ich bin gespannt, was als nächstes kommt.

Dienstag, 23. November 2010

Erstens kommt es anders...

Nur kurz. Aus meinen Plänen ist nichts geworden. Es ist dann schlagartig alles ernst geworden. Der Nachbar möchte partout mein Zimmer nehmen und mit meinem Mitbewohner eine WG gründen, ich soll auf die Strasse. Zu diesem Zweck stand er dann unangekündigt in meinem Zimmer, drohte mir, mich rausschmeissen zu lassen und meinen Minijob hier im Haus könne ich vergessen. "Jaja, ist klar" versuchte ich es. Nicht ernst nehmen ist doch eine gute Strategie, oder? Allerdings ist das auch eine unglaubliche Provokation für ein grosses Ego. Am nächsten Tag steht er wieder bei uns, sagt freundlich "Guten Abend" und wechselt mitten im Satz den Tonfall. Ich hätte ihm 50.- geklaut. Unangenehm, aber soll er mich doch anzeigen, dann weiss ich wenigstens, wann das gewesen sein soll. Am nächsten Tag kommt meine Chefin hier vorbei. Keine Angabe von Gründen, aber ich soll sofort Schlüssel und Kasse abgeben, das Vertrauen sei so sehr gestört, dass es jetzt eine Anhörung gibt. Die war gestern und soweit ok.

Unangenehmes Wochenende, aber jetzt werden sie mürbe. Sie möchten kein Gespräch mit allen 4 Beteiligten vor der Vermietung. Sie haben keine Lust. Es war lustig, so lange ich es ausbaden musste. Nach dem ganzen Ärger amüsiert mich das.

Mittwoch, 17. November 2010

So, mir reichts (1)

Ich habe also genug von meiner liebenswürdigen, ernsthaften, hilfsbereiten, verarschbaren WG-Rolle. Ich drehe den Spiess um, obwohl ich ganz schön nervös und unsicher bin. Egal, da muss ich durch. Die WG wird mein Übungsfeld, nicht mehr Schlachtfeld, Schauspieltraining nicht mehr Überlebenstraining. Dabei mag ich meinen Mitbewohner, sehr sogar. Der kleine Bruder, den ich nie zum Ärgern hatte. Aber o mein Gott, ich bekomme einen Erschlaganfall, wenn ich nochmal den Spurch "chill doch ein bisschen" höre.

Also, mein kleiner Schatz, jetzt kommt Schritt eins. Youtube. Kirchenmusik. Viel davon. André Rieu. Also richtiges Hardcore. Klavier, aber nicht die schönen Chopin-Sachen. Nein, Tschaikovsky, was schön klimpert. Dann die Moldau, aber nur die Kitschversionen. Und Militärmusik, schöne deutsche Märsche. Guggenmusik. Dudelsack, obwohl mir das ja gefällt.
Kein Hansi Hinterseher. Ja hallo, ich muss ja meine Glaubwürdigkeit noch bewahren und irgendwas schlecht finden.

Es geht hier weniger um pure Lautstärke, kein Machtkampf der Soundsysteme, sondern um Tugenden, die man mit Anfang zwanzig noch nicht ausgeprägt hat: Ausdauer, Geduld, Frustrationstoleranz. Das lern du jetzt mal schön.

Das wird auch hart für mich werden, nämlich Ernsthaftigkeit vorzutäuschen, um mein Gesicht zu wahren. Er soll ja nicht sofort durchschauen, dass ich mir ein Spiel auf seine Kosten mache. Und wenn sein "alles-easy"-Kollege da ist, muss ich stark sein, weil der keine Gelegenheit auslässt, mir einen Spruch reinzudrücken. Eigentlich ganz entspannend, laute Dudelsackmusik, stelle ich gerade fest.

Weitere Massnahmen sind in Planung. Ein Poster mit Meer und Nebel für unsere karge Wohnzimmerwand und einen Teppich für den Eingangsbereich. Was daran schlimm ist? Er hasst es, wenn ich dekoriere, aus Prinzip. Hat er meine Präsenz registriert, geht es weiter. Fertig Markengeilheit und Wörter wie "stylish" und "edel". Zur Verschönerung der schwarzen Designerküche habe ich eine Kollektion Winnie-the-Pooh Fenstersticker käuflich erworben. Und natürlich einen Katzenbabykalender.

Schaumamal was mir sonst noch einfällt...

Wünscht mir Glück!

Mittwoch, 10. November 2010

Es war einmal.... Migros (2)

Es war einmal eine Studentin. Sie hatte sich mit einem Migros-Kassierer angefreundet. Dieser Kassierer, ein moderner Froschkönig und herzlicher Mensch, dem man es nur von Herzen wünschen kann, dass ihn eine Prinzessin küsst, fragte die Studentin wieder einmal, wie es ihr gehe. Sie antwortete, dass es ihr gut gehe, aber dass sie wenig erfolgreich auf Stellensuche sei. Da entgegnete ihr der Froschkönig mit freundlichem Blick: "Warum kommst du nicht zu uns?". Die Studentin lächelte, antwortete unverbindlich und ging nach Hause, wo sie sich sehr schämte. Insgeheim hatte sie es als natürliche Hierarchie akzeptiert, dass er hinter die Kasse und sie vor die Kasse gehörte. Nach einigem Nachdenken und tüchtigem Schämen und nachdem alle potentiellen höheren Mächte in Form vieler Absagen der Studentin ein Zeichen gegeben hatten, bewarb sie sich bei Migros. Diese nahmen sie prompt, das Vorstellungsgespräch entpuppte sich als Einstellungsgespräch und wie es üblich ist, kam sie mit leeren Händen und ging mit einer Einkaufstüte - nur, dass dieses Mal Arbeitsuniformen darin waren.
Die Studentin ging erleichtert nach Hause. Sie hatte sich vom omnipräsenten, zähneblitzenden Lächeln der zahlreichen neuen Kollegen anstecken lassen.
So arbeitete die Studentin in der Migros und lächelte fleissig mit. Obwohl sie es sich nicht nehmen liess, die immer gleichen vermeintlichen Witze nur bei Senioren als lustig zu werten und die Kommunikation mit der einen oder anderen bescheuerten beim-Einkaufen-hab-ich-das-Sagen-Hausfrau nicht unnötig auszudehnen, schenkte sie doch jedem ihr strahlendstes Lächeln.
Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lächelt sie...

Nein, nicht ganz.

Die Studentin dachte oft an den Froschkönig. Wie schaffte er das, dass die Kundschaft nicht auf ihn drauf stand und ihn zerquetschte? Leider machen ein freundliches Lächeln und adäquate Beherrschung der Landessprache auch angreifbar. Die Studentin setzte sich massiv zur Wehr und beschimpfte die Leute aufs Übelste, indem Sie beispielsweise sagte: "Leider darf ich Ihnen nicht zehn Plastiktüten umsonst geben. Das ist nicht meine Schuld, bitte seien Sie freundlich, ich bin es doch auch." Zudem hatte die Studentin einmal einen schrecklichen Ausraster. Die Kundschaft beschimpfte sie als dumm, langsam, schwer von Begriff, unfreundlich und rotzfrech (ein sicher lukratives Kunststück und eine schauspielerische Meisterleistung, dies alles gleichzeitig in die Worte "Grüezi, haben Sie die Cumuluskarte?" hineinlegen zu können), während die direkte Vorgesetzte dabei stand und nichts dagegen sagte. Die Studentin seufzte tief und sagte leise: "Nix deutsch verstehen". Aufgrund solch schlimmen Fehlverhaltens und einer Neigung zu gelegentlichen Ausrastern, von denen sie selbst nichts mitbekam, wurde sie von der Kasse abbeordert und ins Büro zitiert. Sie sollte ein Blatt unterschreiben, indem sie ihr unfreundliches Verhalten zur Kenntnis nimmt und Besserung gelobt...äh...unterschreibt. Die Studentin lehnte mit gesenktem Kopf ab.

Heute, Wochen später, besuchte die Studentin den Froschkönig an seinem Arbeitsplatz. Er war erfreut und herzlich, aber ein wenig enttäuscht, dass sie nicht in seiner Filiale gearbeitet hatte. Die Studentin erzählte von ihrer Arbeit, von Agression und Tätlichkeit, Beschimpfen und Bespucken. Der Froschkönig hörte ihr zu, senkte seine Stimme und antwortete: "Das Gleiche hier".
Sie nahm seine Hand und verabschiedete sich. Sie wünschte, sie könnte eine Prinzessin für ihn herbeizaubern...