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Freitag, 23. November 2012

Schule in NRW 1 - Eltern und Schule 1

Integration ist ein wichtiges Stichwort in allen Lebenslagen in Deutschland. Spontan fällt mir zum selben Sachfeld als nächstes Diskriminierung und Hartz IV ein. Diese drei Begriffe werden oft zusammen genannt. Integration heisst, jemandem seine Lücken nachzusehen. Im Schulbetrieb heisst das, Totalausfälle zu verzeihen. Wir integrieren auch Schüler ohne Leistung ins Schulsystem, sonst ist das Diskriminieren.

So kommt es, dass Schüler mit Fünfen und Sechsen in den meisten Fächern weiterkommen. Personen mit Migrationshintergrund darf man nicht mehr "Ausländer" nennen, weil man sofort an "Ausländerfeindlichkeit" erinnert wird, während "Migrationshintergrundsfeindlichkeit" als linguistisches Gebilde einfach in keiner Debatte Platz findet. Bei Personen mit Migrationshintergrund bedeutet es Integration und Toleranz, wenn man ihnen nachsieht, wenn ihre deutschen Sprachkenntnisse einen Lückenhintergrund haben. So kommt es, dass nicht viel dabei rauskommt, wenn Ali und Baran dem Cemal Agusativ erklären. Wehe dem, der dies wertet. Noten sind einfach so wenig integrativ dehnbar und stellen ein Werturteil dar, das eigentlich gar nicht mehr zeitgemäss ist. Wie kann man denn heute noch behaupten, dass ein Kind besser ist als das andere? Auch wenn es sich um ein Schulfach handelt, wer kann es wagen, Kinder zu bewerten? Ich hoffe, die Ironie-Schriftart kommt wirklich bald auf den Markt.

Aber es ist auch schick und cool und in, einander zuzuhören. Als reiner Akt der Toleranz ist dabei egal, was gesagt wird, aber man muss sich alles anhören. So kommt es, dass ich einen Zettel im Fach habe: "Bitte rufen Sie Frau Müller an, sie möchte sich beschweren." Na das weckt ja Lust. Weiter unten die Nachricht: "Herr Müller hat angerufen, wenn er nicht in einem Meeting wäre, wäre er längst hier, um sich zu beschweren. Er sei so aufgebracht, man solle bitte ihn, nicht Frau Müller, anrufen." Ich mache gar nichts. Ich muss mir nicht alles anhören. Die sollen sich bitte beruhigen, warten bis der kleine Pascha zu Hause ist und dann nochmal echt zuhören und herausfinden, ob die eher beliebte Lehrerin ihn wirklich mit körperlicher Gewalt bedroht hat, oder ob er nicht vielleicht doch etwas komplett falsch verstanden hat.

Die Eltern drängen auf ein Gespräch. Wiederholte Mahnungen in meinem Fach, ich möge endlich zurückrufen. Die Schulleitung hat längst und umgehend zurückgerufen und versucht zu schlichten. Trotzdem. Die Eltern wollen mich am Hörer haben. Ist schon mal aufgefallen, dass in den ganzen RTL-Nachmittagssendungen immer ein Weibsbild da ist, das schimpft? Ihre Schimpftiraden sind semantisch komplett sinnfrei: "Wenn...dann kannst du was erleben" oder "Ja sag mal du hassdse wohl nicht mehr alle, was ist das denn jetzt hier?" Weder die Frage- noch die Aussage- oder Ausrufesätze sind als solche zu verstehen. Eher liegt die Bedeutung komplett im Sprechakt an sich. Also hiesse "Ja sag mal du hassdse wohl nicht mehr alle, was ist das denn jetzt hier?" übersetzt: "Du hast dich nicht mit mir abgesprochen und mich überrascht. Ich fühle mich ausgeschlossen und finde darum deine Aktion per se schlecht, aber ich kann leider gerade keine Argumente gegen das finden, was du auf die Beine gestellt hast. Also spreche ich noch eine Weile so laut und nervig, dass der Tonfall dir klarmacht, wie ich mich fühle."

Zurück zur Schule. Die Eltern wollen mich also sprechen. Ich zweifle stark daran, dass sie sachliche Fragen haben. Aber sie lassen ausrichten, dass ihnen nebenbei aufgefallen sei, dass das kleine, sensible Wunderkind solche Schwierigkeiten in der Schule hätte. Vor allem bei mir im Grammatikunterricht. Nachhilfe hätte er längst, er würde es trotzdem nicht verstehen. Das liege vielleicht an mir. Die Schulleitung richtet mir das tatsächlich so aus. Was als Antwort gesagt werden könne? Schüler soll aufgeben. Ist halt auch ein eher dummes Kind. Wenn es ihm zwei Leute erklären und er kann es immer noch nicht, in mehreren Fächern, läuft was schief. Schulleitung baff. Sie müsse darauf jetzt nicht antworten, oder? Das passt nicht in die Harmonisierungskultur. Der Schulleiter spricht wie eine verliebte Frau. Man müsse Wahrnehmungen austauschen, und zwar immer und so oft sich ein Elternteil melden würde. Ok, das kann ja heiter werden, bei 200 Schülern. NRW macht so grosse Klassen und ich darf es ausbaden. Wir haben kaum Geld für Bücher, kaum Leistungsniveau, erst recht kein survival-of-the-cleverest, sondern ein Mitschleifen Aller, aber lauter Wunderkinder und Hochbegabte. Und das bedeutet nichts anderes, als dass Eltern mit mir darüber sprechen müssen, über all die sensiblen Hochbegabten mit ihren Bedürfnissen, und dass sie unmöglich bis zur nächsten Sprechstunde warten können. Ich blocke alles ab. Wie kann man nur Lehrer in NRW werden (wollen)?

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