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Mittwoch, 10. November 2010

Es war einmal.... Migros (2)

Es war einmal eine Studentin. Sie hatte sich mit einem Migros-Kassierer angefreundet. Dieser Kassierer, ein moderner Froschkönig und herzlicher Mensch, dem man es nur von Herzen wünschen kann, dass ihn eine Prinzessin küsst, fragte die Studentin wieder einmal, wie es ihr gehe. Sie antwortete, dass es ihr gut gehe, aber dass sie wenig erfolgreich auf Stellensuche sei. Da entgegnete ihr der Froschkönig mit freundlichem Blick: "Warum kommst du nicht zu uns?". Die Studentin lächelte, antwortete unverbindlich und ging nach Hause, wo sie sich sehr schämte. Insgeheim hatte sie es als natürliche Hierarchie akzeptiert, dass er hinter die Kasse und sie vor die Kasse gehörte. Nach einigem Nachdenken und tüchtigem Schämen und nachdem alle potentiellen höheren Mächte in Form vieler Absagen der Studentin ein Zeichen gegeben hatten, bewarb sie sich bei Migros. Diese nahmen sie prompt, das Vorstellungsgespräch entpuppte sich als Einstellungsgespräch und wie es üblich ist, kam sie mit leeren Händen und ging mit einer Einkaufstüte - nur, dass dieses Mal Arbeitsuniformen darin waren.
Die Studentin ging erleichtert nach Hause. Sie hatte sich vom omnipräsenten, zähneblitzenden Lächeln der zahlreichen neuen Kollegen anstecken lassen.
So arbeitete die Studentin in der Migros und lächelte fleissig mit. Obwohl sie es sich nicht nehmen liess, die immer gleichen vermeintlichen Witze nur bei Senioren als lustig zu werten und die Kommunikation mit der einen oder anderen bescheuerten beim-Einkaufen-hab-ich-das-Sagen-Hausfrau nicht unnötig auszudehnen, schenkte sie doch jedem ihr strahlendstes Lächeln.
Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lächelt sie...

Nein, nicht ganz.

Die Studentin dachte oft an den Froschkönig. Wie schaffte er das, dass die Kundschaft nicht auf ihn drauf stand und ihn zerquetschte? Leider machen ein freundliches Lächeln und adäquate Beherrschung der Landessprache auch angreifbar. Die Studentin setzte sich massiv zur Wehr und beschimpfte die Leute aufs Übelste, indem Sie beispielsweise sagte: "Leider darf ich Ihnen nicht zehn Plastiktüten umsonst geben. Das ist nicht meine Schuld, bitte seien Sie freundlich, ich bin es doch auch." Zudem hatte die Studentin einmal einen schrecklichen Ausraster. Die Kundschaft beschimpfte sie als dumm, langsam, schwer von Begriff, unfreundlich und rotzfrech (ein sicher lukratives Kunststück und eine schauspielerische Meisterleistung, dies alles gleichzeitig in die Worte "Grüezi, haben Sie die Cumuluskarte?" hineinlegen zu können), während die direkte Vorgesetzte dabei stand und nichts dagegen sagte. Die Studentin seufzte tief und sagte leise: "Nix deutsch verstehen". Aufgrund solch schlimmen Fehlverhaltens und einer Neigung zu gelegentlichen Ausrastern, von denen sie selbst nichts mitbekam, wurde sie von der Kasse abbeordert und ins Büro zitiert. Sie sollte ein Blatt unterschreiben, indem sie ihr unfreundliches Verhalten zur Kenntnis nimmt und Besserung gelobt...äh...unterschreibt. Die Studentin lehnte mit gesenktem Kopf ab.

Heute, Wochen später, besuchte die Studentin den Froschkönig an seinem Arbeitsplatz. Er war erfreut und herzlich, aber ein wenig enttäuscht, dass sie nicht in seiner Filiale gearbeitet hatte. Die Studentin erzählte von ihrer Arbeit, von Agression und Tätlichkeit, Beschimpfen und Bespucken. Der Froschkönig hörte ihr zu, senkte seine Stimme und antwortete: "Das Gleiche hier".
Sie nahm seine Hand und verabschiedete sich. Sie wünschte, sie könnte eine Prinzessin für ihn herbeizaubern...

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