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Sonntag, 14. Oktober 2012

Armes, reiches Deutschland, 2

Nun bin ich sechs Wochen in Deutschland und halte die Schweiz für ein Paradies. Rational muss ich zwar sagen, die Schweiz fand mich stets förderungsunwürdig, Stipendium, Bafög, Studienkredit, Darlehen, nicht für meinesgleichen. Gute Noten sind egal, ich passe in keine Kategorie. Und fällt man in einem reichen Land durch alle Maschen ist eine Verbitterung wohl nicht weiter verwunderlich.
Und trotzdem. Wie naiv ich war. Die Schweiz, so gut werde ich es nirgendwo sonst haben.

Als Fachkraft wurde ich geholt und das Angebot war so verlockend, dass ich Mut beweisen wollte. Über den Tellerrand hinausschauen. Kein Feigling sein und ewig über die Ungerechtigkeit jammern, dass ausgerechnet ich einen steinigen Weg in der Schweiz gehen muss, Existenzängste und alles. Das Angebot ermöglichte es mir, unabhängig zu sein und meine Ausbildung berufsbegleitend zu absolvieren. Ich wäre dumm gewesen, es nicht anzunehmen, oder?

Ich trete also vor eine Auswahlkommission von fünf Leuten in diversen schulinternen und -externen Funktionen. Bewerbungsgespräch läuft harzig, ich bin von den Fragen überrumpelt. Welchen Auswirkungen sehen Sie durch die parallele Führung der Profile Englisch und Latein ab der fünften Klasse. Ich würde gerne antworten: "Woher soll ich das wissen?" Ich antworte, wie man es wohl erwartet, Sprachstruktur, gute Vorbereitung, Selektionierung, Förderung der guten Schüler. Allgemeines Nicken. Später sagt man mir, dass man "Selektion" und "Selektionierung" seit dem zweiten Weltkrieg besser nicht mehr benutzt. Ich muss warten, während eine andere Kandidatin interviewt wird. Warten ist ein gutes Zeichen. Die Stundenpläne sind längst auf meinen Namen gemacht. Willkommen an Bord, Sie haben sich gegen alle Kandidaten durchgesetzt. Jubel und Freude meinerseits.

Ich wandere aus. Migrationsamt will klare Entscheidungen, in meinem Fall keine Frist gewähren. Aha, wieder mal ich. Gut, migriere ich halt nach Deutschland. Ein Anruf: Wir möchten Ihnen nun die Berufserfahrung ermöglichen. Ja klar, was sonst, das ist ja Sinn eines Arbeitsvertrages. Ach, den ersten Satz hatte ich nicht verstanden. Düsseldorf weigert sich, den Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Sie müssen mir leider mitteilen, dass ich fachlich komplett unqualifiziert sei, nach zwölf Jahren Studium und sechs Jahren Berufserfahrung. Die Sachbearbeiterin kennt sich leider mit meinem Abschluss nicht aus und will ihn nicht akzeptieren. Bilaterales Abkommen? Ja, das müsste ich gerichtlich einfordern. Ich bin nun temporär angestellt, aber das ist ja nur temporär, das wird schon.

Ich realisiere, keine Weiterbildung für mich. Ich bin von einer Sachbearbeiterin abhängig, die keine Ahnung hat. Ich begreife, was alle hier wissen: Die Kommission, die mich interviewt hat, ist ein Zirkus ohne Entscheidungsgewalt. Aso, das ist mir neu. Da ich nun temporär angestellt bin, habe ich keinen Anspruch auf Bezahlung in den Ferien. Und natürlich auch nur einen geringen Lohn. Aber man versucht mir entgegenzukommen und als Gefallen dafür zu sorgen, dass auch die Ferien entlöhnt werden, damit ich meine Existenz decken kann. Aso. Ist das nett?

Sechs Wochen später. Noch kein Gehalt. Ich rufe immer wieder mal an. 20 Minuten Warteschleife. Da ich ein Formular namens "Arbeitgeberbezogene Ersatzbescheinigung" nicht eingereicht habe, von dessen Existenz ich nichts wusste, wird ca. die Hälfte meines Lohns nicht ausgezahlt. Steuerklasse 6 statt 1. Kein Anspruch auf Rückvergütung. Das war jetzt einfach Pech. Sechs Wochen für 900 Euro gearbeitet, das Geld wird irgendwann im November ausbezahlt. Wovon ich hier lebe? Ist denen doch egal, ich soll jetzt kein Theater machen und warten wie jeder andere. Gottchen, was regen Sie sich denn auf? Im Oktober kommt eine Abschlachzahlung von 150 Euro, damit kommt man doch eine Weile hin. Hätten Sie mal das Formular beizeiten eingereicht. Ob ich Deutschland eigentlich hasse, dass ich eine solchen Aufstand mache. Aso.

Ich habe 180 Prüfungen zu korrigieren. Nach den Regeln des Landes NRW, die niemand so richtig kennt. Es kann jeder im Nachhinein kommen und einen Fehler finden. Kein Schutz für mich. Gegen Abschreiber wird nichts unternommen. Die Schule wird nie geputzt. In den Sommerferien wurde Asbest gefunden. Ich unterrichte in einem schmutzigen, winzigen Zimmer mit 30 Schülern oder mehr, die kein Geld für ein Lehrbuch haben. Ich kann nicht mehr. Seit der ersten Woche die ganze psychosomatische Palette. Ich lebe von vagen Versprechungen und tiefenpsychologischem Honig.
Wie naiv ich war, einfach anzunehmen, dass ein Einstellungsgespräch zur Einstellung führt und dass Arbeit zur Auszahlung von Gehalt führt.
Mir ist völlig klar, was die Schweizer besser machen. Und so simpel ist es: Sie behandeln die Leute korrekt.

An Weihnachten gehe ich zurück. Und nie, nie mehr weg.


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